
Anekdote von Isabell und Andy
Nizza
Abenteuer in Nizza…
… oder: warum man niemals die Kühlbox im parkenden Auto laufen lassen sollte
Während unseres anderthalbwöchigen Aufenthalts an der Côte d’Azur beschließen wir, einen Trip ins nahe gelegene Nizza machen. Die Anfahrt ist relativ unspektakulär, wenn man von diversen Baustellen in Nizza mal absieht, die das Navigationssystem leider nicht erkennt und uns unausführbare Anweisungen gibt. Dank Ausschilderung können wir jedoch letztendlich ein größeres Parkhaus im Zentrum von Nizza ausfindig machen. Wir machen wir uns auf den Weg an die Promenade des Anglais, wo wir zunächst gerne mit einem kleinen Zug eine dreiviertelstündige Stadtrundfahrt machen würden. Allerdings ist der Zug rund zehn Minuten vor Abfahrt schon so voll, dass wir beschließen, die nächste Abfahrt (laut Schild eine halbe Stunde später) zu nehmen. Derweil schlendern wir die Promenade bis zum berühmten Hotel Negresco entlang. Diesmal rechtzeitig vor Abfahrt stehen wir am Zug und wunden uns, dass er diesmal unbesetzt ist. Schuld daran: ein Schild mit der Aufschrift Reserviert für Gruppe – nächste Abfahrt 14:30, also nochmals eine geschlagene halbe Stunde später. Wir beschließen, nun doch keine Stadtrundfahrt zu machen und erkunden die Stadt auf eigene Faust, was wir später bei einem Essen in einem Bistro ausklingen lassen. Der dabei servierte Salat scheint nur spärlichst geputzt zu sein und auch die lieblos in Stapeln aufgehäuften Schinken- und Käsestückchen sind wenig Appetit anregend, das Hähnchen gleich gar nicht als solches identifizierbar. Tapfer essen wir es trotzdem, allerdings nicht ohne äußerst knauserig beim Trinkgeld zu sein.
Nach mehrstündigem Aufenthalt in Nizza kehren wir schließlich erschöpft ins Parkhaus zurück. Leider rütteln wir vergeblich an der Tür des Tiefgaragenzugangs, aus dem wir zuvor raus gekommen sind. Auch ein vermeintliches Parkkartenlesegerät gewährt uns trotz mehrmaligen Kartendurchziehens (in allen möglichen Variationen) keinen Zugang. Mein Blutdruck steigt, mein Kopf wird röter und meine Laune immer schlechter. Wir retten uns schließlich mit dem Zugang durch das darüber gelegene Einkaufszentrum, bezahlen unser Ticket und machen uns auf die Suche nach dem Auto. Ich weiß noch, dass wir in Ebene P4 parken, aber wo genau?
Wir irren minutenlang im Parkhaus umher. Nach einer gefühlten Ewigkeit finden wir es endlich. Andy versucht den Motor zu starten – doch es passiert nichts, der Motor räuspert sich allenfalls. Er versucht es noch ein zweites, ein drittes und ein fünftes Mal – vergeblich.
Die Batterie ist leer.
Mir rutscht das Herz in die Hose – wenn nicht sogar noch tiefer. Der Grund für die leere Batterie ist die Kühlbox, die im Kofferraum am Zigarettenanzünder hängt. Seit Stunden. Meine Nerven liegen mittlerweile völlig blank, ich kriege einen Wutausbruch, der selbst mir Angst einjagt. Mein Liebster behält glücklicherweise die Nerven (so scheint es zumindest), löst die Handbremse, legt einen hohen Gang ein und schiebt und lenkt das Auto rückwärts aus der Parklücke. Ich sitze auf dem Beifahrersitz und weiß nicht, ob ich weinen oder toben soll, entscheide mich dann aber ihm zu helfen, steige aus und helfe schieben – in Gegenfahrtrichtung… Wir mobilisieren sämtliche Kräfte und schieben das Auto an, alle paar Meter, wenn wir glauben genug Geschwindigkeit zu haben, springt Andy ins Auto und versucht den Motor anzulassen – leider immer noch vergeblich. Nach mehreren Versuchen kommt uns ein alter Peugeot 205 entgegen, die Fahrerin kurbelt das Fenster herunter und ruft etwas auf Französisch. In meiner Aufregung habe ich sämtliche französischen Vokabeln vergessen und starre sie nur verständnislos an.
„Verstehen Sie Deutsch?“, fragt sie mit französischem Akzent und wir nicken beide. „Es gibt ‘hier eine ‘auptkasse, da gibt es ein Starterkabel, isch weiß nur nischt, in welsche Ebene. Die können ihnen ‘elfen!“, fährt sie fort. Da wir offensichtlich sehr hilflos aussehen, ruft Sie mir ergänzend zu: „Kommen Sie mit, steigen Sie ein, isch fahre Sie zur ‘auptkasse!“
Ich werfe Andy einen zögernden Blick zu, entscheide mich jedoch dann, die Hilfe anzunehmen und steige bei der älteren Dame ins Auto. „Wir kommen wieder!“, ruft Sie noch aus dem heruntergekurbelten Fenster und braust davon.
Sie erklärt mir, dass sie gebürtige Straßburgerin ist, jedoch seit 35 Jahren in Nizza lebt und erst
kürzlich am Bein operiert wurde (was die Krücke neben mir auf dem Sitz erklärt). Sie versucht
mich etwas zu beruhigen und wir machen uns auf die Suche nach der Hauptkasse. Leider weiß sie nicht, in welcher Etage diese ist und so fahren wir zuerst einmal im Kreis auf Ebene P4. „Nischt weglaufen, wir kommen wieder!“, ruft sie Andy zu, als wir ihn das erste Mal umrunden. Leider finden wir die Auffahrt in die nächsthöhere Ebene nicht auf Anhieb, also fahren wir noch ein zweites Mal an unserem stehen gebliebenen Auto vorbei.
In P3 finden wir schließlich die Hauptkasse. Sie schaltet den Warnblinker ein und parkt ihr Auto mitten in einer Durchfahrt direkt vor der Kasse. „Lassen Sie misch reden, isch regle das“, sagt sie und legt sofort auf französisch los. Bedauerlicherweise müssen wir erfahren, dass es das Starterkabel (aus welchen Gründen auch immer) nicht mehr gibt. Ich verstehe nicht viel von dem, was sie dem gelangweilt wirkenden Typen hinter der Glasscheibe erzählt, nur dass sie es bête findet, dass sie Starterhilfe nicht mehr anbieten. Es verstreichen mehrere Minuten (sie informiert sich noch darüber, wie wir vorgehen sollten, falls das Parkticket abläuft) bis sie schließlich aus ihrem Geldbeutel einen bereits vergilbten Zettel holt, auf dem ihr Mann eine Anleitung für die Benutzung eines Starterkabels geschrieben hat. Um sich zu vergewissern, dass das stimmt, liest sie es dem Typen in der Glasscheibe vor, dieser nickt nur gelangweilt und sagt ein paar mal oui, c’est ça. „Dann werden wir es jetzt mit meinem Starterkabel versuchen“, sagt sie an mich gewandt und ich wundere mich, warum wir diesen Umweg über die Hauptkasse gehen mussten, wenn sie doch selbst eines hat. Allerdings möchte ich die nette Hilfe der Dame nicht in Frage stellen- sie hätte ja genauso gut an uns vorbei fahren können.
Wir steigen wieder in ihren alten Wagen und brausen in Richtung P4, das wir auch dieses Mal nicht ohne uns zu verfahren finden. Sie parkt gegenüber unseres Autos, kramt das Kabel aus dem Kofferraum und gibt Andy nebenher mündliche Anweisungen, wie er das Kabel zu benutzen hat. Für ihn als Kfz-Elektriker ist das allerdings kein Problem, geschickt legt er die Kabel an und lässt den Motor an.
Knatternd läuft der Motor an und wir sind überglücklich. Um aus dem Parkhaus zu fahren/haben wir laut gezahltem Parkticket noch ca. zehn Minuten Zeit. Alleine sieben Minuten davon gehen drauf, um uns von der Dame zu verabschieden. „Vous êtes un ange … „, sage ich und sie umarmt uns alle beide und gibt uns links und rechts Küsschen. „Passen Sie gut auf sisch und Ihre Frau auf, Nizza kann gefährlisch sein!“, gibt sie uns noch mit auf den Weg, „es gibt so viele Taschendiebe, die kommen von überall ‚er. Und seien Sie auch vorsischtig, wenn Sie an einer Ampel stehen – schließen sie Ihr Auto immer auch von innen ab … „
Wir sind ihr wirklich dankbar für ihre Hilfe und Ratschläge, aber vor allem ich habe eher weniger Lust, beim Parkticket nachzuzahlen – es war ohnehin schon teuer genug. Mit Mühe und Not bringen wir sie dazu, in ihr Auto zu steigen. „Lassen Sie misch voraus fahren, isch kenne den Weg!“, flötet sie und lässt ihr Auto an. Nach unserer vorigen Parkhausrundfahrt habe ich daran zwar eher meine Zweifel, aber wir lassen sie machen und fahren brav hinterher.
Noch drei Minuten. Aufgrund irreführender Beschilderung wären wir beinahe noch eine Etage weiter runter gefahren – gerade noch mal gut gegangen.
Noch zwei Minuten. Wir nähern uns der Sortie. Madame fahrt vor uns an die Schranke, schiebt das Ticket ein, die Schranke öffnet sich, sie fahrt durch und hält ein paar Meter weiter.
Noch eine Minute. Wir fahren an die Schranke, schieben das Ticket ein, das Ticket kommt wieder raus, die Schranke bleibt unten. Mir rutscht zum zweiten mal an diesem Tag das Herz in die Hose. Hinter uns stehen schon mehrere Autos, der Wagen an der Schranke neben uns hupt unsere Retterin an, da diese ihren Peugeot kurzerhand mitten in der Auffahrt abgestellt hat und uns zur Hilfe eilt. „Funktioniert es nischt?“, fragt sie. Wir schütteln die Köpfe und ziehen das Parkticket aus dem Automaten. Wie durch ein Wunder öffnet sich die Schranke vor uns. Wir können unser knappes Glück kaum fassen und fahren ohne Stopp in Cannes nach Hause.